Inhalt
- 1 Die Lage am Abend
- 1.1 1. Mehr Arbeitnehmer sollten zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen können
- 1.2 2. Strafverfolger jagen den erschlichenen Corona-Subventionsmilliarden hinterher
- 1.3 3. Menschenrechtler protestieren gegen den Einsatz von Gesichtserkennungstechnik
- 1.4 Was heute sonst noch wichtig ist
- 1.5 Meine Lieblingsgeschichte heute: Kinofilm über Union Berlin
- 1.6 Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
- 1.7 Was heute weniger wichtig ist
- 1.8 Mini-Hohlspiegel
- 1.9 Cartoon des Tages
- 1.10 Und heute Abend?
Die drei Fragezeichen heute:
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Arbeitszeitverkürzung – Ist die 35-Stunden-Woche auch für andere Branchen wünschenswert?
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Coronahilfen – Wie Behörden und Justiz gegen Kriminelle vorgehen?
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Krieg in Nahost – Warum protestieren Menschenrechtler gegen den Einsatz von Gesichtserkennung?
1. Mehr Arbeitnehmer sollten zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen können
Viele Menschen freuen sich heute auf ein paar arbeitsfreie Tage, aber tut diese Freizeitbegeisterung unserem Land und uns selbst wirklich gut? Mein Kollege Markus Dettmer analysiert heute die offenbar neu erwachte Lust vieler Deutscher auf die Viertagewoche, nachdem es einen Tarifabschluss über demnächst 35 Stunden Arbeit pro Woche für Mitarbeiter der Bahn gab. Er fragt: »Ist Deutschland auf dem Weg von der Schaffe-schaffe-Republik zum Freizeitparadies? Ohne Rücksicht auf die Quellen seines Wohlstands?«
Das Verhältnis der Deutschen zum Wert der Arbeit hat sich geändert. In den Fünfzigerjahren schrieb der von mir verehrte, wunderbar arrogante Dichter Gottfried Benn noch völlig zurecht: »Dumm sein und Arbeit haben: Das ist das Glück.« Damals stürzten sich die Deutschen, auch um über die von ihnen verschuldeten Verbrechen nicht allzu viel nachdenken zu müssen, in einen oft besinnungslosen Arbeitsfleiß. Heute lassen es nicht nur Menschen aus der jungen Generation geruhsamer angehen. In einer Gesellschaft, in der als Idealbild beide erwachsenen Partner einer Familie arbeiten, ist die 40-Stunden-Woche hart, wenn man Familie und Beruf irgendwie miteinander vereinbaren will.
»Bleibt die Frage nach der Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich. Ist sie für alle möglich? Eher nein«, schreibt mein Kollege Markus. Die Streichung eines Arbeitstages bei vollem Lohn bedeute eine Gehaltserhöhung von 25 Prozent. Das heiße: Die Beschäftigten müssten in der kürzeren Zeit ihre Produktivität um 25 Prozent steigern, damit die Unternehmen gleich viel Wert schöpfen. Das werde nicht funktionieren. Natürlich gebe es einige Branchen, die etwa durch intelligente Arbeitsorganisation ihre Produktivität deutlich steigern könnten. »Doch in der Kita oder im Krankenhaus muss jede Arbeitskraft, die einen Tag weniger arbeitet, an diesem durch eine andere ersetzt werden, um die Betreuung zu sichern.«
Es wäre sicher gut, wenn mehr Arbeitnehmer zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen könnten. Weil dem Arbeitsmarkt durch den demografischen Wandel Arbeits- und Fachkräfte fehlen, müssten die Unternehmen mit besseren Arbeitsbedingungen für sich werben, findet mein Kollege. »Das geht über gute Gehälter, über attraktive Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodelle.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Warum wir weniger arbeiten werden – aber die Viertagewoche nicht für alle passt
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand, dass die Reduzierung einer Fünftagewoche auf vier Tage eine Lohnerhöhung von 20 Prozent bedeute. Tatsächlich reduziert sich die Arbeitszeit um 20 Prozent. Der Lohn erhöht sich um 25 Prozent. Wir haben die Zahl korrigiert.
2. Strafverfolger jagen den erschlichenen Corona-Subventionsmilliarden hinterher
Die Pandemie ist vorbei, und sie hat auch in der Justiz Spuren hinterlassen. Um Unternehmen und Selbstständigen zu helfen, hat der Staat in der Pandemie mehr als 76 Milliarden Euro verteilt. Das ist ungefähr so viel, wie die EU und ihre Mitglieder seit dem russischen Angriff 2022 an Hilfen für die Ukraine gezahlt haben. Doch zahlreiche Menschen haben sich an der Krise bereichert, haben den Staat mit Maskendeals oder Corona-Testzentren abgezockt.
Meine Kollegen Jörg Diehl, Lukas Eberle, Tobias Großekemper und Gerald Traufetter berichten in der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe, wie die Behörden nun den verlorenen Coronamilliarden hinterherjagen.
Das Geld der Steuerzahler half Tausenden Unternehmen, bewahrte viele vor der Pleite. Der Staat wurde zum Retter – und zum Opfer. In zahlreichen Fällen landeten die Subventionen auf Konten von Kriminellen, die ausnutzten, dass die Behörden bei der Prüfung der Anträge nicht genau genug hinschauten. Nun bemühen sich die Behörden und die Justiz, einen Teil des Geldes zurückzuholen und möglichst wenige Betrüger davonkommen zu lassen. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet allein bei den Soforthilfen mit Rückzahlungen von 4,8 Milliarden Euro.
»Der Staat wollte in der Pandemie schnell und unbürokratisch helfen, was verständlich war. Aber unbürokratisch ist etwas anderes als unkontrolliert«, sagt mein Kollege Lukas Eberle. Zu Beginn der Pandemie konnten die Behörden nur rund jeden zehnten Antrag auf Coronasubventionen näher prüfen. Das zog Betrügerinnen und Betrüger geradezu an, zumal es um riesige Geldsummen ging.
»Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Politik fordern in diesen Tagen zu Recht eine Aufarbeitung der Coronapolitik«, so Lukas. »Dazu gehört meiner Meinung nach auch ein kritischer Blick auf die Subventionen und das System, wie die Behörden sie bewilligten und auszahlten.«
Es sei ja nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann wieder eine ähnlich große Krise wie die während der Pandemie gibt, in der Unternehmen und Selbstständige wieder auf Hilfen vom Staat angewiesen sind. »Für so einen Fall sollte es ein System geben, das Betrug sehr viel schwieriger macht – selbst wenn das dann bedeutet, dass die Behörden die Subventionen nicht von heute auf morgen auszahlen können.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie die Behörden den verlorenen Coronamilliarden hinterherjagen
3. Menschenrechtler protestieren gegen den Einsatz von Gesichtserkennungstechnik
Die Sprache des menschlichen Gesichts sei die einzige, die jeder Mensch verstehe, hat der Philosoph Ernst Bloch behauptet. Noch besser als der Mensch aber versteht die Gesichtersprache offenbar die sogenannte künstliche Intelligenz. Mit Kameras und per Gesichtserkennung wird in vielen Ländern der Welt nach Menschen gefahndet, denen man habhaft werden will. Heute wurde bekannt, dass Israel im Gazastreifen seine Überwachung ausbauen und dazu nutzen will, Menschen mit Verbindungen zur Terrororganisation Hamas aufzuspüren.
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Bereits jetzt soll es zu mehreren Verwechslungen inklusive falscher Festnahmen gekommen sein, berichtet mein Kollege Oliver Imhof. Ein Experte der Organisation Amnesty International hält den Einsatz von Gesichtserkennung durch Israel auch deshalb für besorgniserregend, weil er zu »einer völligen Entmenschlichung der Palästinenser« führen könnte. Auch von anderen Menschenrechtsorganisationen wird die Gesichtserkennungstechnologie massiv kritisiert. Human Rights Watch fordert ein generelles Verbot in öffentlichen Räumen. Autokratien wie China oder die Vereinigten Arabischen Emirate nutzen die Technik zur Überwachung ihrer Bevölkerung, doch auch Demokratien wie Großbritannien setzen sie zur Verbrechensbekämpfung ein. Die EU verbietet bislang den Einsatz der Erkennungssoftware zur Massenüberwachung.
Studien zeigten, »dass die Software Probleme bei der Erkennung dunkelhäutiger Menschen hat, was immer wieder zu Verwechselungen führte«, schreibt mein Kollege. »Ironischerweise leidet auch das Spionagewesen unter der Technologie. Die amerikanischen Geheimdienste etwa haben Probleme, die Deckidentitäten ihrer Spione aufrechtzuerhalten, weil Gesichtserkennung und KI auf ihren digitalen Fußabdruck und damit ihr wahres Ich aufmerksam machen.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Israels umstrittener Einsatz von Gesichtserkennung
Was heute sonst noch wichtig ist
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Macron will Mercosur völlig neu verhandeln: Mit deutlichen Worten hat Macron seine brasilianischen Gastgeber düpiert: In São Paulo forderte er ein neues Abkommen, das sich »an der Realität orientiert«. Innenpolitisch steht er wegen Mercosur stark unter Druck.
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Private Familienstiftung von René Benko ist insolvent: René Benko hat als Unternehmer bereits Insolvenz angemeldet – nun folgt die private Familienstiftung des Immobilieninvestors. Ein entsprechender Antrag wurde beim Landesgericht Innsbruck gestellt.
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New York beschließt City-Maut: Es wäre die erste Stadt der USA mit einer City-Maut: Ab Juni soll es 15 Dollar kosten, in den südlichen Teil Manhattans zu fahren. Gegen den Beschluss der New Yorker Verkehrsbehörde laufen allerdings noch Klagen.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Kinofilm über Union Berlin
Für die Arbeit der Dokumentarfilmregisseurin Annekatrin Hendel begeistere ich mich schon länger, zum Beispiel für ihren Film über die unter anderem mit Schriftstellerei berühmt gewordene »Familie Brasch« oder »Schönheit & Vergänglichkeit«, ein Porträt des Berliner Türstehers und Fotografen Sven Marquardt. Nun hat Hendel einen Kinofilm über Union Berlin gedreht.
Mein Kollege Peter Ahrens findet das Dokumentarwerk »Die Besten aller Tage« fast ein bisschen zu sonnig, weil es von zahlreichen Erfolgen des Fußballklubs handelt. »Fast zwei Stunden lang fallen sich die Menschen immer wieder um den Hals, und so viel Heiterkeit ist auf Dauer leicht anstrengend«, schreibt er. »Manchmal hätte man sich im Lauf dieser zwei Stunden einen Bruch gewünscht, einen Konflikt, dass es mal rumst und Türen knallen. Aber das passiert nicht, hier haben sich die Leute einfach zu lieb.« Dieser Eindruck sei aber keineswegs das Versäumnis des Films oder der Regisseurin. Man könne nicht zeigen, was nicht da ist. »Es gibt keinen Grund für schlechte Laune«, lautet ein zentraler Satz des Films. Die Regisseurin, urteilt mein Kollege Peter, »setzt denen ein Denkmal, die auch noch da sind, wenn Trainer entlassen werden und Sportdirektoren gehen müssen, wenn Spieler transferiert werden«. Denen, die nach dem Motto handeln: »Right or wrong: My Club«.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: In der Köpenicker Wohlfühlzone
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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»Es hilft, Evan auf den Aufnahmen im Gericht lächeln zu sehen«: Seit einem Jahr hält Moskau den »Wall Street Journal«-Journalisten Evan Gershkovich fest. Seine große Schwester Danielle spricht darüber, wie sie die Ungewissheit aushält und warum Evan Russland trotz allem liebt .
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Zum Abschied ein Feuerwerk Marke Bandit: Die zähe Auseinandersetzung um das Haus ist beendet: 130 Polizisten räumten das Haus im Berliner Stadtteil Neukölln, die Rammos sind weg. Was hat der Clan dort hinterlassen?
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»Die Mikrowelle ist die effizienteste Art zu kochen«: Die Klimakrise lässt viele Menschen verzweifeln. Nicht Hannah Ritchie. Die Datenwissenschaftlerin ist überzeugt: Nie zuvor hatte die Menschheit so viele Möglichkeiten, nachhaltig und umweltschonend zu leben .
Was heute weniger wichtig ist
Päpstlicher Kinobotschafter: Martin Scorsese, 81, in jungen Jahren im Priesterseminar durchgefallener Hollywoodregisseur, arbeitet an einem neuen Film über das Leben von Jesus Christus und bereitet eine ganze Serie über katholische Heilige vor. Die Idee zu den frommen Filmemacherjobs sei ihm im Gespräch mit Papst Franziskus gekommen, den er im vergangenen Jahr traf, so Scorsese: »Ich bin dem Aufruf des Papstes auf dem einzigen Weg gefolgt, den ich kenne: ein Drehbuch zu einem Film über Jesus zu schreiben.«
Mini-Hohlspiegel
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und heute Abend?
Könnten Sie sich in vorweggenommener Karfreitagsstimmung das Theaterstück »Fräulein Julie« von August Strindberg ansehen, das von Moraldruck, Züchtigung und Unterwerfung handelt. In den Hamburger Kammerspielen läuft eine elegante, sehr musikalische Inszenierung mit der von mir sehr geschätzten Schauspielerin Judith Rosmair und Dominic Horwitz, die ich mir gestern Abend angesehen habe. Und wenn Sie nicht in Hamburg leben: Bei Streamingdiensten gibt es eine tolle Version mit Jessica Chastain und Colin Farrell, bei der die berühmte Schauspielerin Liv Ullmann Regie geführt hat. (Lesen Sie hier meine Rezension von 2015 dazu .)
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort