Minister Özdemir über die Bedeutung der Landwirtschaft in der Industrienation Deutschland, über Artenschutz und gesunde Ernährung
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir
Herr Minister Özdemir, die Welt kennt Deutschland vor allem als innovatives Industrieland, welche Rolle spielt hier die Landwirtschaft?
Die Dichter und Denker bitte nicht vergessen! Deutschland ist aber natürlich auch ein Land der starken ländlichen Räume und fleißiger Bäuerinnen und Bauern. Diese vielen tausend Betriebe, meist in Familienhand, prägen das Bild unseres schönen Landes. Und sie decken uns täglich den Tisch – Weizen für unser Brot, Kartoffeln, wie wir sie in Deutschland lieben, und natürlich die gute Wurst und noch vieles mehr. Aber Landwirtschaft ist noch viel mehr: Sie schützt und pflegt unsere Kulturlandschaften, wie die Almen in den Voralpen. Und unsere Landwirtinnen und Landwirte arbeiten intensiv mit daran, dass Deutschland klimaneutral wird, mit erneuerbaren Rohstoffen oder Biogasanbau. Und hier kommt dann wieder die Verbindung zur Innovation und zur Industrie – das gehört in Deutschland alles zusammen!
Wie gehen in Deutschland Ökologie und Landwirtschaft zusammen?
Artenvielfalt, fruchtbare und gesunde Böden, sauberes Wasser – das ist das Fundament, auf dem unsere Landwirtschaft steht. Wenn wir auch in 20, 30 und 50 Jahren gute Ernten einfahren wollen, kümmern wir uns darum, dass dieses Fundament erhalten bleibt. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft auch ein Hort der Artenvielfalt – denken Sie an die artenreichen Weidelandschaften oder Almen in den Bergregionen. Auch diese wollen wir erhalten und fördern deswegen diese Haltungsformen besonders. Nicht zuletzt haben wir mit der Biostrategie das Ziel, dass bis 2030 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden können. Von diesem Ziel kann die gesamte Landwirtschaft profitieren, denn es geht dabei auch um Innovationen. Zahlreiche Entwicklungen im Öko-Sektor finden mittlerweile eine breite, über den Bio-Bereich hinausgehende Anwendung. Spannend finde ich auch die sogenannte regenerative Landwirtschaft, die sich um den Erhalt der natürlichen Ressourcen bemüht und irgendwo zwischen konventioneller und Bio-Landwirtschaft angesiedelt ist.
Click here to preview your posts with PRO themes ››
Zur Person
Cem Özdemir, 1965 im Baden-Württembergischen Bad Urach geboren, ist seit 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Tierschutz und Landwirtschaft sind ein großes Thema: Ist das automatisch ein Gegensatz?
Auch hier – das gehört natürlich zusammen. Zum einen, weil das die Verbraucherinnen und Verbraucher immer stärker nachfragen. Daher haben wir nun die Tierhaltungskennzeichnung eingeführt, so dass jede und jeder beim Fleischeinkauf sehen kann, wie das Tier gehalten wurde. Mit Schweinehaltung haben wir angefangen und weiten es nun noch aus, zum Beispiel auf die Gastronomie. Zum zweiten ist es natürlich im Interesse von Landwirtinnen und Landwirten, dass es ihren Tieren gut geht. Um das zu unterstützen, haben wir im neuen Tierschutzgesetz klare Vorgaben gemacht – wie bei der Schweinehaltung, wo Ringelschwänze jetzt nur noch in Ausnahmen kupiert, also amputiert werden dürfen. Also – ist das Schwein gesund, freut sich der Mensch!
Sie leiten das Ministerium „Landwirtschaft und Ernährung“. Was sind Ihre Aufgaben und Ziele beim Thema Ernährung?
Gutes Essen im Alltag für alle leichter zu machen, darum geht es mir. Wir haben besonders Kinder und Jugendliche im Blick: Jede und jeder soll in diesem Land die Chance haben, gesund aufzuwachsen. Leider ist das manchmal auch eine soziale Frage. Ich weiß, wovon ich spreche: Meine Eltern kamen als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland und mussten viel und lange arbeiten. Nach der Schule war ich meist allein. Für mein Mittagessen bekam ich circa 1,60 Mark, das reichte meistens für eine Rote Wurst und Pommes. Davon habe ich mich jahrelang ernährt. Und es gibt leider immer noch Kinder und Jugendliche, denen es heute so geht wie mir damals. Deswegen setzen wir bei der Verpflegung in Kita und Schule an. Ich will, dass jedes Kind und jeder Jugendliche zumindest einmal am Tag eine gute, gesunde und schmackhafte Mahlzeit erhält, aus saisonalen, regionalen Zutaten und gerne auch Bio.