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In vino veritas: Die Wahrheit lautet, es wird viel mehr Wein produziert als getrunken – weltweit. Die Branche sucht nach Lösungen: Rebflächen reduzieren, Weinberge aushauen, Altwein zu Industriealkohol destillieren.
Es ist erst Anfang April, und die Rebknospen der Weinstöcke sind schon wollig angeschwollen. Der Austrieb steht bevor – viel zu früh, das sehen die Winzer mit Sorge. Wenn es im April noch mal Frost gibt, könnten die zarten Triebe erfrieren und der Jahrgang gefährdet sein und damit der Wein; das Produkt, von dem der Winzer lebt.
Aber auch hier gibt es ein Problem: Es gibt zu viel davon. Was früher der Milchsee und die Butterberge waren, ist heute das Weinmeer – und zwar ein Weltmeer. Es wird rund um den Globus deutlich mehr produziert als getrunken. Auch die Deutschen trinken weniger als früher, laut Deutschem Weininstitut ist der Verbrauch im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge zurück gegangen. Und: Die Weintrinker schauen auf den Preis.
Auslaufmodell Fassweinproduktion
„Die Leute sind deutlich preissensibler geworden, das spüren wir seit Anfang des Jahres ganz extrem“, bestätigt Sebastian Volz. Der Winzer aus dem südpfälzischen Essingen baut auf 20 Hektar Wein an. Den überwiegenden Teil vermarktet er als Flaschenwein; verkauft an Endkunden, Fachhändler und die Gastronomie. Sein Betrieb sei gut aufgestellt, sagt er.
Aber: „Das Geschäft mit dem Fasswein ist derzeit mehr als unlukrativ.“ Fasswein, das ist Wein, den Winzer erzeugen, aber nicht selbst vermarkten, sondern an Großkellereien verkaufen. „Die Kosten für die Produktion sind in den letzten zwei, drei Jahren um 20, 30 Prozent gestiegen, aber wenn man Glück hat, bekommt man für Fasswein gerade noch den Erzeugerpreis. Wenn man Pech hat, weniger – dann macht man Verlust.“
Stillstand zwingt zum Stilllegen
Gerade in der Pfalz und Rheinhessen gibt es viele Weingüter, die sich auf Fasswein spezialisiert haben und Großkellereien beliefern – etwa 40 Prozent der deutschen Weine werden so vermarktet. Das war einst ein funktionierendes Geschäftsmodell, aber die Preise sind seit Jahren im Sinkflug; für den Liter Wein bekommt der Erzeuger derzeit maximal einen Euro. Was tun?
Für Aufregung sorgte vor kurzem der Vorschlag, Weinberge zu roden, um den Überfluss einzudämmen. Er kam von Jens Göhring, Weinbaupräsident des größten deutschen Anbaugebietes Rheinhessen und Mitglied im Vorstand des Deutschen Weinbauverbandes. „Wir fordern, eine Art Rotationbrache einzuführen, dass wir sechs Jahre Brache auf bestimmten Flächen machen können. Und nach sechs Jahren, wenn die Zeiten sich gebessert haben oder der Absatz sich eingependelt hat, die Weinberge wieder anlegen können,“ sagte er dem SWR.
Investieren ins Destillieren
Zu viel Wein gibt es nicht nur aus deutschen Landen. In der Weinbauregion Bordeaux bekommen Winzer staatliche Prämien, wenn sie ihre Weinberge roden. Rund 10.000 Hektar Rebfläche sollen so stillgelegt werden. Um überflüssige Weinmengen aus dem Markt zu nehmen, unterstützt die EU die Verarbeitung zu Industriealkohol, die sogenannte Krisendestillation. Seit Anfang 2023 hat sie dafür mehr als 105 Millionen Euro bewilligt. Den größten Teil – etwa 68,5 Millionen Euro – bekam Frankreich, nach Portugal gingen mehr als 18 Millionen, nach Italien rund 15 Millionen Euro. In Deutschland wurde in diesem Zeitraum kein Wein mit EU-Geld zu Industriealkohol verarbeitet.
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Die Krisendestillation ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar muss der Wein wenigstens nicht weggekippt werden. „Damit hat das Produkt noch einen Nutzen – auch wenn man Industriealkohol über Zellulose deutlich günstiger produzieren könnte“, erklärt Simone Loose, Professorin für Weinwirtschaft an der Hochschule Geisenheim. „Das ist also ein sehr unwirtschaftlicher Prozess.“ Langfristig sei es aber sinnvoller, das Geld in die Umwidmung von Weinbergsflächen zu stecken – etwa für andere Agrarprodukte, Biodiversitätsfläche oder alternative Energiegewinnung.
Heimische Weine mit Wettbewerbsnachteil
Den Trend, Rebflächen zu reduzieren, sieht auch das deutsche Weininstitut. „Man kann derzeit feststellen, dass Betriebe aufhören und manche Flächen, die dadurch frei werden, nicht mehr von den erfolgreich wirtschaftenden Betrieben übernommen werden. Weil sie sagen, ‚Okay, wir gucken erstmal, wie sich die Lage am Weinmarkt weiterentwickelt'“, sagt Sprecher Ernst Büscher.
Grund zur Panik sehe er nicht, trotz des enormen Preisdrucks, dem die deutschen Winzer ausgesetzt sind: „Wir haben halt das Problem, dass wir als eines der größten Weinimportländer der Welt auch mit Preisen von Ländern konkurrieren müssen, in denen beispielsweise der Mindestlohn deutlich unter unserem liegt. Dementsprechend war es so, dass im vergangenen Jahr die Leute festgestellt haben, dass der ausländische Wein 75 Cent günstiger ist. Das war dann für viele das Kaufkriterium – zu sagen: ‚Sorry, ich würde ja gerne regional und auch nachhaltig kaufen, aber der Geldbeutel gibt das zur Zeit nicht her‘.“
Nachhaltiger Weinbau mit neuen Sorten
Regional, nachhaltig, bald sogar bio: Solche Weine verkauft Winzer Volz seinen Kunden. Er strukturiert seinen Betrieb bereits um, rodet alte Anlagen mit Dornfelder, um sie mit Rotweinreben zu bepflanzen, die mit dem Klimawandel besser zurecht kommen – oder mit neuen, pilzwiderstandsfähigen Sorten, Piwis. Die brauchen weniger Aufwand beim Pflanzenschutz und sparen so Arbeitszeit und Kosten. Mit seinen Eltern und seiner Partnerin bewirtschaftet Volz seine Flächen fast komplett alleine.
Den Kostendruck spürt er auch beim Flaschenwein. Die 20 bis 30 Prozent Steigerung für Flaschen, Verschlüsse, Etiketten und Verpackungen kann er nicht einfach auf die Kunden abwälzen – seine Marge wird also kleiner. Trotzdem sieht er seinen Betrieb gut aufgestellt. „Ich denke, da wird auch wieder ein Aufschwung kommen. Der kommt natürlich nicht so schnell wie der Abschwung kam. Der Fall nach unten war schneller, als es wieder bergauf geht.“ Seine Vision für die Branche: „Wir brauchen keine Riesenmengen. Wir müssen deutlich runter gehen. Weniger, aber höherwertige Weine. Und dann hat man auch absatztechnisch weniger Probleme.“
Einer seiner meistverkauften Weine ist übrigens aus keiner traditionellen Rebsorte wie Riesling oder Weißburgunder, sondern aus der Piwi-Sorte Cabernet Blanc – darin sieht er großes Potenzial. „Ein leichter, feinfruchtiger Wein mit floralen Noten, nicht ganz trocken, das kommt bei den Leuten sehr gut an. Und wenn dann noch diese Nachhaltigkeitsgeschichte dazu kommt, dann sind die Leute auch durchaus gewillt, etwas mehr für den Wein zu bezahlen.“