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Ein Haus für einen Euro: Mit diesem Angebot kämpfen immer mehr italienische Dörfer gegen die Landflucht. In einem Dorf in der Toskana hat sich das Modell als erfolgreich erwiesen.
In engen Serpentinen schlängelt sich die Straße den Berg hinauf. Oben angekommen, erwartet einen ein atemberaubender Ausblick über die Gebirgslandschaft der Garfagnana in der Toskana. Hier oben, teilweise in den blanken Felsen gehauen, befindet sich das kleine Dorf Vergemoli. Es ist Teil der Gemeinde Vergemoli di Fabbriche. Wer Natur und Ruhe sucht, wird hier fündig.
Doch Bürgermeister Michele Giannini befürchtet, dass es hier auf Dauer zu ruhig werden könnte. „Meine Gemeinde hat 700 Einwohner, aber vor 50 Jahren waren es noch mehr als 3.000“, sagt Giannini. Weil so viele Menschen weggegangen sind, stehen viele Häuser leer und verfallen. Sie stünden sinnbildlich für die Landflucht, erklärt der Bürgermeister: „Leere Häuser bedeuten, dass hier nur wenige Menschen leben. Wenn es nur wenige Menschen gibt, gibt es auch immer weniger Kinder, die zur Schule gehen und die Schulen werden geschlossen.“
Ein-Euro-Häuser meist stark sanierungsbedürftig
Um diesen Trend aufzuhalten, hatten sie hier im Ort vor knapp zehn Jahren eine Idee: Die Gemeinde kaufte den Besitzern, die entweder weggezogen waren oder die nicht das Geld hatten, die Gebäude zu renovieren, die leerstehenden Häuser ab. Dann boten sie diese Häuser zum symbolischen Preis von einem Euro wieder zum Verkauf an – so wie das alte Steinhaus, vor dem Bürgermeister Giannini jetzt steht.
Die alte Holztür ist so verzogen, dass sie sich nicht öffnen lässt. Giannini, der, bevor er Bürgermeister wurde, hauptberuflich bei der Finanzpolizei war, tritt kurzerhand die Tür ein. „Passen Sie auf“, sagt er, bevor er bevor er reingeht. Innen gleicht das Haus einer Ruine, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Gegenüber der Eingangstür befindet sich eine Nische in der Wand, in der die Figur des Heiligen Antonius steht, rechts davon hängt das eingerahmte Porträt eines jungen Soldaten – der Uniform nach stammt es aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts.
Der Heilige Antonius und das Soldatenporträt scheinen beinahe das einzig Intakte an diesem Haus zu sein: „Wie Sie sehen können, ist das Dach eingestürzt. Wenn das Haus noch weitere acht oder zehn Jahre leer steht, stürzen auch noch die Wände ein.“ In dem mittelalterlichen Dörfchen, in dem die Steinhäuser direkt aneinandergebaut wurden, könne das richtig gefährlich werden. Da sei es besser, das Haus für einen Euro zu verkaufen – aber wer würde so etwas kaufen wollen?
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Grundstückspreise in der Toskana hoch
Etwa eine halbe Stunde Autofahrt entfernt befindet sich der kleine Ort Fabbriche di Vallico. Er gehört ebenfalls zur Gemeinde von Bürgermeister Giannini. Hier hat Paolo Giusti für einen Euro ein Haus gekauft. Er deutet auf eine steinerne Tafel, die in die Hausfassade eingelassen ist. „Das Haus ist von 1731 – es ist also fast 300 Jahre alt“, so Giusti.
Doch auch dieses Haus gleicht aktuell noch mehr einer Ruine als einem toskanischen Traumhaus. Giusti hat große Pläne: Er möchte ein kleines Hotel daraus machen, und er hat bereits mit den Renovierungsarbeiten begonnen. „Als ich es gekauft habe, war es einsturzgefährdet, und deshalb haben wir als erstes das Dach erneuert.“ Spätestens 2025 möchte er fertig sein, mindestens 100.000 Euro wird er insgesamt investieren müssen. Für ihn trotzdem ein gutes Geschäft, denn in der Toskana sei allein der Baugrund sehr teuer.
Etwa 100 Häuser bereits verkauft
Auch der Bürgermeister freut sich – alles sei besser als leerstehende, verfallende Häuser, so Giannini. Etwa 100 Häuser haben sie bereits verkauft, ungefähr die Hälfte für einen Euro. Die anderen Häuser für deutlich mehr: Je nach Zustand konnten die Häuser für fünf- bis zwanzigtausend Euro verkauft werden.
Die Gemeinde unterstützt die Käufer auch bei der Bürokratie und hilft bei der Suche nach Architekten und Bauunternehmen. Die einzige Auflage: Die Fassade der Häuser muss erhalten bleiben, damit es in das historische Erscheinungsbild des Ortes passt.
Ein-Euro-Häuser in ganz Italien
Auch Ausländer hätten hier bereits zugeschlagen, darunter ein Engländer, eine dänische Familie und sogar ein Brasilianer, erzählt Bürgermeister Giannini. Sie hätten sich so ihren Traum vom Ferienhaus erfüllt.
Doch es gebe auch andere, die dauerhaft bleiben wollten. „Mehr als 50 Menschen sind bereits hierher gezogen, darunter auch Familien mit Kindern“, sagt Giannini. Die Ein-Euro-Initiative habe aber vor allem die Wirtschaft angekurbelt, denn so ein Haus müsse renoviert und instandgehalten werden.
Im ganzen Land haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr Gemeinden der Initiative angeschlossen: Aktuell stehen in etwa 70 Gemeinden Häuser für einen Preis von einem Euro an aufwärts zum Verkauf. In Vergemoli di Fabbriche hat die Initiative neue Hoffnung ins Dorf gebracht. Letztes Jahr ist hier sogar erstmals seit zehn Jahren wieder ein Kind geboren worden.