Der Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica beschäftigt sich mit den juristischen Herausforderungen des Klimawandels.
Der IAGMR mit Präsident Ricardo C. Pérez Manrique
Eine gesunde Umwelt ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre fundamentalen Rechte auf Leben wahren können. Insofern bringt der Klimawandel auch Herausforderungen für den Schutz der Menschenrechte mit sich. Das bedeutet viel Arbeit für Juristinnen und Juristen, denen sich ganz neue Fragen stellen: Wie muss man Menschenrechte angesichts der neuen Herausforderungen interpretieren, effektiv schützen und anpassen? Gibt es „grüne Menschenrechte“? Kann die Natur überhaupt ein Rechtssubjekt sein?
Über diese Fragen beraten in San José, der Hauptstadt Costa Ricas, Anwältinnen, Hochschullehrer und international geschulte Richterinnen und Richter. Sie arbeiten im Interamerikanischen Institut für Menschenrechte (IIDH) und am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR). Die beiden Institutionen sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt und ergänzen sich, sind aber voneinander unabhängig. Sie treffen Entscheidungen, die für mehr als eine halbe Milliarde Menschen in Lateinamerika lebenswichtige Bedeutung haben. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH unterstützt diese Menschenrechtsarbeit im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Junge Zuhörerinnen und Zuhörer am Gerichtshof
Wer das Interamerikanische Institut für Menschenrechte im Stadtteil Los Yoses betritt, senkt beim Sprechen automatisch die Stimme. Die weiße Villa verströmt die Aura eines Denkertempels. Bücherregale, dicke Teppiche, knarrende Treppen, große Besprechungsräume. An den Wänden hängen Porträts der Direktorinnen und Direktoren des Instituts der vergangenen Jahrzehnte.
Der Staat hat die Verpflichtung, für eine gesunde Umwelt zu sorgen.
Jorge Padilla, Interamerikanisches Institut für Menschenrechte
Seit 40 Jahren werden in diesem Gebäude die Menschenrechte gehütet und an die jeweils aktuellen Herausforderungen angepasst. Ging es in den Gründungsjahren des IIDH vor allem um den Schutz von Leib und Leben, wurden die fundamentalen Rechte später ausgeweitet auf wirtschaftliche, soziale, kulturelle Rechte sowie Umweltrechte. Inzwischen würden die Menschenrechte unter dem Blickwinkel der Klimaveränderungen fortentwickelt und die Verantwortlichkeit des Staates werde erhöht, sagt Jorge Padilla, Leiter des Ressourcen- und Studienzentrums für Menschenrechtserziehung am Institut. „Heute hat der Staat die Verpflichtung, für eine gesunde Umwelt zu sorgen, und das betrifft alle Rechte wie zum Beispiel jenes auf Wasser oder auf angemessene Ernährung.“ Padilla empfängt in seinem Büro im Obergeschoss des Instituts zum Gespräch. Juristische Aufsatzsammlungen, Lehrbücher und politische Zeitschriften füllen das Bücherregal hinter seinem Schreibtisch. Padilla redet schnell und spannt dabei den großen Bogen von den Anfängen der beiden Institutionen bis zu den heutigen komplexen Herausforderungen. Das Institut wird 1980 gegründet, nur ein Jahr nachdem der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) ein paar Straßenzüge entfernt errichtet wurde. In ihrer Anfangszeit mussten sich Gericht und Institut vor allem mit Folter, außergerichtlicher Hinrichtung und weiteren Verbrechen beschäftigen, die von Militärdiktaturen verübt wurden.
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Anhörung zur Klage einer brasilianischen Gemeinschaft gegen den Staat
Heute lässt sich ein Paradigmenwechsel beobachten: Nicht mehr nur der Mensch als Träger subjektiver Rechte ist zu schützen, sondern auch die Natur. Man könnte sagen: Das Recht auf eine saubere Umwelt ist eine Art ökologisches Menschenrecht. Und das müssen die Staaten Lateinamerikas sicherstellen. So hat es das Gericht schon vor einigen Jahren entschieden. Dabei war das IAGMR schneller als die Vereinten Nationen, wie Padilla betont.
Wegweisendes Gutachten
So hat das IAGMR über die Jahre seine Urteile und Gutachten immer weiter auf „Grün“ gestellt. Mit Spannung wird derzeit ein Gutachten zu der Frage erwartet, wie sich Klimanotstand und Menschenrechte zueinander verhalten. Chile und Kolumbien wollen vom Gerichtshof wissen, wie weit der Staat in Zeiten des Klimanotstands verpflichtet ist, die Menschenrechte in ihrer individuellen und kollektiven Ausprägung zu schützen. „Es wird also versucht, den Ökozid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit neu zu begründen“, so Padilla. Das Gericht berät über dieses Thema schon rund ein Jahr und hat eine Vielzahl von Stellungnahmen von Nichtregierungsorganisationen und Fachleuten eingeholt.
Eduardo Ferrer Mac-Gregor (3.v.l.), Vize-Präsident des IAGMR
Das IAGMR werde das erste internationale Gericht für Menschenrechte sein, das sich zum Klimanotstand äußern wird, sagt auch dessen Vize-Präsident Eduardo Ferrer Mac-Gregor. Auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte liegen dazu drei Verfahren vor, allerdings sind diese Streitfälle. „Wir gehen mit unserem grundsätzlichen Gutachten einen Schritt weiter,“ unterstreicht Richter Ferrer Mac-Gregor.
Deutsche Unterstützung bei Verbreitung der Urteile
Das IIDH begleitet die Entwicklung der Rechtsprechung des Tribunals seit jeher eng. Das Institut arbeitet die Entscheidungen des Gerichts auf und sorgt – auch mit Unterstützung der GIZ – dafür, dass die Gutachten und Urteile weite Verbreitung finden. Auf seinem Computerbildschirm zeigt Jorge Padilla ein Dokumentationstool, das die Publikation der Urteile und Gutachten vereinfacht. Anhand der Artikel der Amerikanischen Menschenrechtskonvention kann man sich dort über den aktuellen Stand der Rechtsprechung des Gerichtshofs informieren.
Seit 2020 gibt es zudem die Plattform Zugang zur Justiz, die einen raschen und übersichtlichen Überblick über Leitentscheidungen von Gerichten in ganz Lateinamerika bietet. Das IIDH hat sie gemeinsam mit der GIZ entwickelt. Sie kann von überall auf der Welt konsultiert werden. Dadurch können Nichtregierungsorganisationen, Anwältinnen und Anwälte oder Menschenrechtszentren in anderen Ländern die Erkenntnisse viel einfacher für ihre eigenen Verfahren verwenden.